Im Herbst wird die Tracht abgelegt

Nachdem ich den ganzen Morgen an der Murmelkiste (Computer an dem ich mich dem unendlich vielseitigen Nachhörservice hingegeben habe) vergnügt habe, bin ich nun so voll mit Eindrücken, daß ich nicht weiss wohin damit. Ich schaue in den Wald vor meinem Fenster, wo die Bäume nun bevorzugt ihre honigfarbenen Trachten tragen. Jedes Jahr aufs Neue erblicke ich eine unglaubliche Schönheit, die diese Bäume mir zeigen. Und immer wieder die Trauer, wenn die Tracht verschwindet und schließlich nur noch die schwarzen Stecken zu sehen sind. Doch auch an die gewöhnt man sich und findet sie spätestens im Dezember dann ebenfalls schön. Im indischen Restaurant bestellte der Ehemann vor ca. 20 Jahren einmal einen Yogitee mit Honig von der Biene. Seit dem begrüsst ihn der Kellner, der immer derselbe ist, mit Hallo Professor. Nun, wo ich den Ehemann geheiratet habe, bin ich also diesbezüglich die Frau des Professors. Ich finde das angenehm, auch, wenn es von hinten bis vorne gelogen ist und er definitiv kein Professor ist. In der Generation meiner  Eltern würden sich viele Frauen, die sehr gerne emanzipiert wären, nicht damit zufrieden geben, lediglich die Frau des Professors zu sein. Mich stört das nicht, denn er ist ja, wie gesagt, gar kein Professor. Als ich einmal einen Salat mit dem extra dafür hergestellten Salatbesteck vermischte, fragte er mich wieso da vorne eigentlich eine Lücke in dem einen der Löffel sei. Ich stutzte ziemlich vor mich hin. Wähnte mich kurz als Kind in Omas Küche. Dann wusste ich die Antwort nicht und zuckte die Schultern. Eine gute Frage, die ein Kind selbstverständlich fragt und ein Erwachsener (ausser der Ehemann) nicht, weil sie banal wirken könnte. Es gibt ja ziemlich viele Fragen, die man nicht zu fragen wagt. Dazu gehört sicher auch diese Frage. Ich höre beim Schreiben manchmal Radio. Eigentlich geht das nicht, das Gesagte stört ab und an enorm den Denkfluss. Musik tut dies seltener, ausser jemand singt demagogisch auf Deutsch und man kann sich nicht dagegen wehren das meist gesungene Drama nicht gleich vor Augen zu haben. Neuerdings singen zudem viele durch ein Gerät, dass man Autotuner nennt und besonders Frauen klingen gerne wie Mickey Mäuse. Die Themen in modernen Popmusiken sind die Dinge des Lebens: Autos (sogenannte Lowrider) und Menschen. Kommt diese Art von Musik im Radio, schalte ich sofort ab. Bei wissenschaftlichen Sendungen, wie der die gerade läuft, versuche ich dagegen etwas mitzubekommen, was ich direkt in den Text einfliessen lassen kann. Wenn es klappt, ist das dann  wohl das berühmte Multitasking. Gerade geht es in einer Sendung um das Thema Familie und was Kinder in ihr lernen. Der anwesende Fachmann sagt: Es ist identitätsstiftend in einer Familie zu sein. So etwas kann nur ein Fachmann sagen. Ich schalte auch das ab, es klingt in dieser Sendung alles wahnsinnig allgemein, wie so oft in Sendungen über das Thema der Mensch und seine Seele. Generalisierende Aussagen nerven mich immer. Es ist wie eine Pest, diese Verallgemeinerungen. Wenn alle ihre Kinder nach den selben Regeln erziehen, dann ist Hopfen und Malz verloren. Denn jedes ist anders. Weshalb ich keinen einfältigeren Satz kenne wie den : Ich liebe Kinder. Dann könnte man auch sagen: Ich liebe Erwachsene. Heute gehe ich in eine Kirche, um etwas aufzunehmen. Eine Kirche hat den Vorteil, dass sie ihr eigenes Effektgerät immer schon eingebaut hat. Zumindest Hall ist immer da.

© Bettie I. Alfred, 2019

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