Jaja, aufs Land fahren. Das ist manchmal der einzige Ausweg. Aber man sollte diese Dorfwelten nicht unterschätzen, denn auch Dörfer haben dunkle Ecken. Ähnlich wie man die Elster verklärt, passiert dies mit den Dörfern. Elstern, Elstern, überall andauernd alles voll mit Elstern, oder zumindest mit einer Elster. Auf dem Dach sitzt sie, oder im Baum, aber niemals in Greifnähe, nein, man kann sie nicht greifen, niemals. Ausser man ist schnell und wendig, aber wer ist das schon. Aufgeregt ist die Elster, immerzu, wie ein hysterisches Kind. Aber schön ist sie, wirklich schön. Blauschwarz schimmert sie und ihr Weiss ist weiss wie Schnee und ist kein Beige oder ein Schmutzweiss, nein ihr Weiss ist schneeweiß. Schneeweiss – Blauschwarz, was für eine Kombination. Toll Natur! Wie hast du das gemacht? Und wieso ist der Mensch meist so häßlich? So abgrundtief häßlich, so voller ekelhafter Tendenzen. Warum machst du, Natur, deine Tiere so albern schön? Soll der Kontrast alles noch verstärken? Manche lieben ja Kinder. Kein Wunder, sie tragen noch die Unschuld in sich. Manchmal. Und dann? Kinder lieben selten andere Kinder und Tiere hassen Kinder, weil sie sie fangen und ihnen etwas an den Schwanz binden wollen. Damit es schön scheppert, wenn das Tier davonläuft. Ich habe noch nie einem Tier eine alte Blechbüchse oder sonst etwas Lärmendes an den Schwanz gebunden. Aber ich habe einen depperten Kater auf meinem Etagenbett, wo nur ich drinnen schlief, weil es kein zweites Kind, in dieser Wohnstätte zumindest, gab, festgehalten, bis er ganz wild war. Vorher hatte ich den Durchgang zur Restwohnung mit einer riesigen Pinnwand versperrt. Wenn das Tier am Höhepunkt seiner Wildheit war, es nur noch um sich biss und trat, liess ich ihn schlagartig los und es raste los, wie ein Irrer, gen Freiheit. Da er die Wand nicht erwartete, legte er jedesmal einen dermassen sprungfederartigen Höhenüberflieger hin, dass mein Herz, mit mir auf dem Bett sitzend, vor Glück raste. Immer sonntags wiederholte ich das Ritual. Die Folge war, dass das Tier nicht mehr bei mir im Bett schlief, sondern nur noch im Flur vor meinem Zimmer. Ich war dann enorm enttäuscht von ihm und sperrte ihn schließlich sonntags ganz oben in den Küchenschrank. Nicht lange, aber lange genug, um das Gefühl zu haben, dass das Leben nicht so war, wie es in der Werbung immer aussah. Auch ich war im Grunde gar nicht so, wie ich es immer versuchte zu sein. Lieb. Nein ich war nicht lieb. Ich war aber auch nicht schlimm. Ich war nichts als leer. Damals. Vollkommen leer. Wie eine leere Schublade. Konnte niemanden mit nichts überraschen. Nur den Kater mit der plötzlich installierten Wand. Niemand hinderte mich daran. Auch die Menschen um mich herum waren es nämlich: leer. Leer, ganz leer. Und voll zugleich. Zu voll, deshalb ich zu leer. Und leer ist man nicht gern, zumindest wenn einem die andern alle übervoll erscheinen. Dann macht man eben so etwas wie Katzen ärgern.
Heute mach ich das nicht mehr, ich bin nun nur noch halbleer. Oder halbvoll. Wie man es nimmt. Man wird langsam älter und immer etwas voller. Es reicht nun gerade so, dass ich den neuen Kater nicht mehr ärgern muss. Das ist ganz gut so.
© Bettie I. Alfred, 15.11.21