Der Lohn

Reflektiere innerlich wofür es sich lohnt zu leben. Es sind unzählige Dinge die mir da einfallen. Das meiste hat mit freudvollem Konsumieren von kraftvollen Darstellungen von Lebensabschnitten und – bereichen zu tun. Eine kraftvolle Darstellung hat wohlgemerkt nichts, aber auch gar nichts mit dem Klischeebild von Kraft (laut, stark, wuchtig) zu tun. Ein leises Wort dagegen, Stille und ein wahrhaftes Nichtgelingen, kaftvoll kann das alles sein, so kraftvoll sogar, dass es einem gut geht, wenn man damit konfrontiert wird. Auch die alte dünne Katze, die den Großteil ihres Lebens nun schon hinter sich hat, ist so kraftvoll in ihrem Auftreten (auf leisesten Samtpfoten weiss sie ganz genau wohin es gehen soll), daß es mir gut geht, wenn ich sie mir immer wieder genau anschaue. Überhaupt ist das Etwasgenauanschauen in vollkommener Unwissenheit darüber, was das Angeschaute eigentlich fühlt, etwas, was enorm viel Kraft geben kann. Natürlich will man das Fell dann immerzu gleich anfassen, darüber streichen und samt ganzem Tier an sich pressen. Herz an Herz, Kopf an Kopf, Hirn an Hirn. Das Köpfchen gross und leer, das andere klein und übervoll. Oder umgekehrt, das weiss man ja nicht so genau. Beckett sagt der Ursprung seiner Kunst sei seine Unfähigkeit und seine Unwissenheit. Das kann ich nicht recht glauben, es klingt doch irgendwie nach einer gewissen Übertreibung oder einfach nach Koketterie. Wenn er schon unfähig und unwissend war, was bin ich dann? Mich verbindet jedenfalls das Interesse am Nichts mit ihm. Oder besser gesagt das an minimal Sicht- und Spürbarem. Und die Lust daran einem gewissen Versagen auf allen Ebenen zu einem riesigen Gelingen zu verhelfen. Das Bestreben eine Ernsthaftigkeit ins vollkommen hohlgeglotzte und hohlgedachte Leben zu bekommen, eine Ernsthaftigkeit, die das Ganze erst zu einer durchaus lohnenden Vorstellung macht, ist groß. Eine Vorstellung diesbezüglich von einer großen Vorstellung, also einer Vorstellung im theatralischen Sinne, habe ich schon sehr lange: Eine Bühne und ein riesiges Buffet. Die Madame frißt sich durch. Das Verdauen als Prinzip Hoffnung. Das ganze sollte jedoch unbedingt über eine gewisse Niedrigkomik nicht hinausgehen. Überhaupt, darf nirgends und niemals die Komik als Ziel auch nur annähernd angestrebt werden. Im Gegenteil, der Komik gegenüber ist immer ein gewisses Mißtrauen entgegenzubringen. Ich verstehe gar nicht wieso es immer heisst das Urvertrauen sei so wichtig im Leben. Man muss sich doch einmal eingestehen, dass das Urmißtrauen mindestens genauso wichtig ist. Wie sonst kommt man zur eisig kosmischen Einsamkeit, die uns doch erst zu dem macht, was wir sind. Einspänner in der Menschenherde.


© Bettie I. Alfred, ein Tag vor dem dritten Advent 2021


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