Ich ersehne Glatteis!

Das lang ersehnte Kompliment kommt und ich ertrage es nicht. Die Kindheit ist und bleibt eine Fussfessel. Weihnachten macht alles ganz gross. Wie durch eine Lupe sieht man alles vor sich. Die vielen Neins sind omnipräsent. Muss unbedingt Th. B`s „Ja“ noch einmal lesen. Worum ging es da noch gleich? Schon wieder vergessen. Ich las es im Juli. Wie kann es sein, dass ich das Ganze jetzt schon wieder vergessen habe? Im Notizbuch sind unter diesem Titel (ich führe eine Sterneliste) 5 Sterne. Das heisst eigentlich „herausragend“. Im Wikidings steht „Yes (Novel)…“ und da erinnere mich plötzlich wieder an diese mysteriöse Perserin, die in „Ja“ die Hauptfigur ist und dass der Mann, der sie nicht versteht und somit nicht kennt, mit ihr im Schnee spazieren geht und sie dabei ungeheuerlich friert. Als der Vater (meiner) in die neue Frau verliebt war, ich war so um die 7/8 Jahre alt, fuhren wir zu einem eingeschneiten Friedhof, um ein Grab zu besuchen. Ein Grab, das die neue Frau unbedingt sehen wollte. Ich glaube es war das Grab der Karoline von Günderode, aber ich bin nicht sicher. Wir suchten dann, nachdem wir das Grab gefunden und eine Weile an ihm verbracht hatten, eine Gaststube um uns dort aufzuwärmen, doch die einzige, die wir fanden, war geschlossen. Liebe, Winter, Friedhof, Wärme. Das passt alles gut zueinander. Frau Mayröcker pflückte Wermut gegen Schwermut. Und da ist sie schon wieder und lacht zum Fenster rein, die erbarmungslose Sonne. Die, die die Kontraste immer so stark aufzeigt. Leer in der Sonne zu sitzen macht noch viel deutlicher was fehlt, als voll. Komplimente sind Kitsch, so sieht er es, das weiss ich genau, deshalb kommen sie nicht. Carl Zuckmayers Stimme, so sagte es Thomas Bernhard einmal, sei eine der angenehmsten, die er kenne. Ich muss unbedingt Tonaufnahmen ausfindig machen und diese Aussage überprüfen. Würde mir am liebsten eine Wohnung in der Nähe von Herrn Liebinsky`s Archiv vom Deutschlandfunk suchen. Zu spät. Ein guter Bekannter meint der sei ein äußerst freundlicher Herr gewesen, er hätte ihm S-Bahngeräusche „geschenkt“. Nun sei er leider pensioniert. Kein Mensch, so der Bekannte, wolle heutzutage mehr Tonaufnahmen geschenkt. Man mache alles selbst. Doch ich. Sage ich und, dass ich so gerne eintauchen würde in die ganzen alten Geräusche. Einmal noch die alten Geräusche meiner Kindheit hören und dann bewusstlos danieder sinken. Bald wird wieder in ein neues Jahr gerutscht. Ich ersehne Glatteis, das macht es einfacher.

© Bettie i. Alfred, kurz vor Jahresende

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