Zuckmayers Stimme

Und schon ist das neue Jahr in vollem Gange. Der noch weihnachtlich mit einem weißen Spitzentischtuch der Kaiserzeit bedeckte Esstisch wird beim schludrigen Frühstück mit allen Farben bekleckert, die man sich vorstellen kann: braun für Kaffee, rot für Marmelade, gelb für Butter, grün für Tee. Wie immer in solchen Momenten mache ich den Witz mit „die Flecken rausschneiden“. Innerlich bin ich zerknirscht, denn das Tischtuch ist ein wichtiger Teil meiner Aussteuer gewesen. Man muss es so verdreckt ewig in diverse Chemikalien einweichen und mehrmals einem Heisswasserwaschgang aussetzen, um es annähernd wieder weiss zu bekommen. Ich beschliesse beim nächsten Fest nur noch Milch und Eierbaiser zu servieren. Heute muss ich nun mal wieder U-Bahn fahren. Beim letzten Mal fielen mir die Polster auf, die gar keine Polster mehr sind, sondern merkwürdige Sitzschalen, die eine einheitliche Hinterngrösse als Ausgangspunkt haben und es besonders ausladenderen Menschen unmöglich macht bequem zu sitzen. Der Einheitsmensch scheint auch hier bei der BVG auf dem Vormarsch zu sein. Ich überlege welches Buch ich als Lektüre mit auf den Weg nehme. Sicherlich kein mathematisches und auch kein politisches. Die geschenkten (Becketts Watt, Die Freude am Tonband und das Buch von Pic- dem verträumten Seifenblasenclown aus Roncalli) liegen noch wie Heiligtümer unterm Zweig. Ich denke ich nehme etwas vollkommen Nichtssagendes mit, dann muss ich mich nicht so sehr konzentrieren. Einen uralten Baedeker über London! Der Einheitsmensch….. Apropos, ich muss endlich einmal Zuckmayers Stimme ausfindig machen. Thomas Bernhard hat sie in den Himmel gepriesen. Finde etwas im verhassten Netz. Will die Augen vorerst geschlossen halten und wirklich nur die Stimme anhören. Es ist ein Interview. Der Frager setzt ein und ich bin sofort von dessen Stimme gebannt. Mist, habe die Augen dann zu früh geöffnet. Der Einheitsmensch hat keine Geduld. Zuckmayer klingt an sich ganz gut, aber nicht so gut, daß ich zu Träumen beginne. Die Geschichte mit Winnetou (und, dass er ganz offiziell seine Tochter so nannte) lässt mich staunen.
Und wieder habe ich einen Mythos entschlüsselt.

© Bettie I. Alfred, 3.1.22

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