Materienströme am Rand der Sonne

Mache in der Nacht bei Minus zwei Grad das Fenster auf. Höre ein leises aber durchdringendes Gezwitscher. Ein Nachtvogel, der Kälte liebt? Danach finde ich vorerst keinen Schlaf mehr. Dann ändere ich, zum ersten Mal seit 30 Jahren, meine Beinstellung, genauer gesagt den Winkel in dem ein Bein zum andern liegt. Ein phänomenaler Effekt, ich schlafe tief und ausdauernd bis in den Vormittag. Dann ist es grau am Himmel. Allerdings hellgrau. Ein Tick mehr ins Blau und es wäre hellblau. Blau ist auch das Meer, an das es mich nicht zieht. Diese Unruhe und Grenzenlosigkeit, die es dort gibt, das ist nicht meine Sehnsucht. Ich hab Sehnsucht nach Grenzen. Nach einem Garten mit Zaun drum. Der Zaun zwar kaputt und durchlässig, aber, auch, wenn er Löcher hat: ein Zaun ist ein Zaun und somit eine Grenze. In einem Fernsehfilm von 1980 wohnt eine Familie in einem bunkerartigen freistehenden Einfamilienhaus. Sie sitzt oft an einem Tisch im winzigen Vorgarten, der, weil das Haus ganz neu ist, lediglich durch eine Mickerhecke das Umfeld von sich trennt. Das Umfeld ist eine Art Paradies. Man ahnt wilde Streuobstwiesen in unendlichen Ausmaßen. Die Mickerhecke soll schnell wachsen, sagt die Hausfrau. Vielleicht damit ihr die Sicht auf eine dermaßen natürliche Freiheit, nicht die Konzentration aufs Wesentliche nimmt. Das Mittagessen! Irgendwo lese ich das Wort Protuberanzen. Obwohl ich einen lateinischsprechenden Vater habe, habe ich dieses Wort noch nie gehört. Ich schaue nach. Es meint die Materienströme am Rand der Sonne. Wahnsinn mit was sich die Menschen schon alles befasst haben. Kein Wunder daß man Zäune braucht.

© Bettie I. Alfred, 14.1.21

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