Melancholisches Abhängen vor Trauerkünsten

Nachdem ich heute stundenlang Messingklinken geputzt habe (auch das im üblichen Sinne genannte Klinkenputzen ist damit gemeint), sauge ich auch noch mein Zimmer sauber. Als ich es nach einer kleinen Imbisspause wieder betrete, kommt es mir ganz neu und auch ganz leer vor. Was für ein Effekt! Dann blättere ich in meinem Buch das ich bald vollgeschrieben habe herum. Es ist Notizbuch Numero vierundfünfzig. In den letzten Aufzeichnungen darin geht es um die Verneinung von Dargebotenem und wie man es bewerkstelligen soll es dem Darbieter zu unterbreiten, dass man sein Werk ablehnt. Max Frisch schreibt über genau solch eine unangenehme Situation (er ging in die Ausstellung eines ihm bekannten Malers. Eines, wie er es nennt, Scharlatans). Als er aus der Ausstellung herauskommt, trifft er genau den. Rein zufällig. Dieser will mit ihm dann etwas trinken gehen. Frisch geht drauf ein und sitzt dann jenem Künstler, dessen Werk er verachtet, rauchend gegenüber und spürt deutlich, wie das Verschwiegene (eben seine Abneigung gegen die gerade noch besichtigte Kunst, die er als Thema mit größter Vorsicht beschweigt) trotz der Geheimhaltung immer deutlicher im Raum steht. Eine Situation, die wohl jeder Künstler kennt und hasst. Dieses eventuelle Ansprechen einer Verneinung, ein Tabu und doch immerzu gewünscht von allen, um Missverständnissen aus dem Weg gehen zu können. Manch einer hasst das Skizzenhafte, das Unvollkommene. Der andere liebt es. Ein Fragment ist das Grösste, so der eine, der andere mag das ausgefeilte Bollwerk viel lieber. Ruinen, für mich ein Glücksort der Wehmut, wo Raum entsteht, um wahre Gefühle hervortreten zu lassen. Der andere weint nur in mehrfach gedämmtem Neubau gerne. Der warme Frühlingsausbruch lässt im Übrigen auf sich warten. Immer wieder schaut die dunkle Seele in mir hervor und freut sich aufs melancholisches Abhängen vor Trauerkünsten. Doch kaum winkt ein Temperaturanstieg, sind die Themen des Pflanzencenters wieder omnipräsent.

© Bettie I. Alfred, 22.4.22 (schönes Datum!)


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