Es trafen sich viele Menschen, die alle gleich alt waren. So etwas nennt man ein Klassentreffen. Ich fuhr mit dem Rad hin und obwohl es keinen Berg hinauf ging, sondern die Ebene flach war, schien es mir als habe ich plötzlich eine Atemproblematik (dies war die glatte Aufregung). Dann angekommen, viele Gesichter, die ich meinte noch nie gesehen zu haben. Dann machte es klick und alle fielen mir wieder ein. Fast. Hunde waren auch da, ich die einzige mit Mütze, um meine Unfrisur zu verbergen. Als ginge es um solche Banalitäten wie Haare, wenn man sich nach 30 Jahren wieder sieht. Leider fehlte jemand, doch die meisten die man im Kopf gehabt hatte, erschienen tatsächlich als die, die sie einst gewesen waren. Der Schlauste der Schule winkte mir gleich freundlich zu und ich, die, zensurentechnisch gesehen, Dümmste der Schule (ganz abgesehen von meiner ab und an aufblitzenden emotionalen Intelligenz, die jedoch in den einseitigen Wissensabfragungen in meiner Schulkarriere keinerlei Rolle spielte) freudig zurück. Allein für so ein Erlebnis, lohnt sich das Leben. Manche erkannten niemanden, auch sich selbst wohl nicht mehr. Und, daß so ein grauenhaftes Thema, wie ein kollektiver Alterungsprozess, dann doch so viel Spass gemacht hat, das hätte ich niemals von ihm erwartet. Ich danke mir selbst allerdings am meisten für den Mut, den ich hatte, mich ganz alleine in dieses inzwischen langsam schon grau melierte alte Leben zu stürzen, das sich dann aber doch noch ganz frisch anfühlte. Trotz allem gab es leider niemanden, der die diversen Graureiher, die bei all dem Irrsinn, einfach über uns, in all ihrer Eleganz, hinweggezogen waren, bemerkte. Das ist bedenklich! Denn Vogelfreunde sind mit die angenehmsten Menschen, die ich kenne. Dafür sah man zwei bis hundert mal ein Smartphone aufblitzen. Und niemand wagte es jedoch ein Gruppenbild zu erzwingen. Man sah sich stattdessen stellenweise tief in die Augen und sprach von Herz zu Herz, zumindest da, wo noch eins vorhanden war und die Zufriedenheit schien zwischen Minderwertigkeitsempfindungen und Größenwahn, wie üblich in Rudeln, verhältnismässig gross, ähnlich wie beim Haustier, wenn das Futter angenommen wird.
Man sollte also immer dran bleiben, an all dem, was zum Leben dazu gehört, eben auch an den früh erlebten Jahren am „Gümmnasium“. Lehrer gab es keine, das war gut so, denn sie wären enorm aufgefallen, ausser vielleicht eine Frau von Puttkammer.
© Bettie I. Alfred, 22.5.22