Bleibe beim Gang durch die Wohnung an einem befreundeten Bücherregal hängen. Was wäre der Mensch ohne Bücher? Denk ich. Vor allem der Mensch: Ich. Dann fällt der Blick auf „Still wie die Nacht“ Ein dickes graugrünes Buch mit roten Lettern. Ich las es 1997. Ich weiss es wie gestern noch. Nehme das Buch mit zu einem Stuhl und setze mich. Schlage es auf und lese. Der Anfang erinnert an die Szene von der Geburt Oskars in der Blechtrommel. Es sind die Memoiren eines Kindes. Ich bin ein wenig skeptisch als ich denke, dass mein Buch von diesem Buch mehr beeinflusst wurde, als von meinem eigenen Leben. Überlege, ob es sein kann, dass man Jahrzehnte nicht an etwas gedacht hat und es trotzdem der Ursprung eines riesigen Projekts sein kann. „Das gibts doch nicht!“ versuche ich mich auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen. Ich nehme das Buch dann mit in meine Arbeitssituation, nun liegt es da und ich lese hinten in der Klappe, dass der Autor in der DDR geboren und zum Erzählen in ihr herangewachsen sei.
Ich überlege dann, dass das eine Vorstellung wie im Märchen ist, dass man tatsächlich zum Erzählen irgendwo herangewachsen ist. Wenn man es so sah, war es durchaus klar, warum es gar nicht schlecht war lediglich einen desaströs zerbröckelten Lebenslauf anbieten zu können. Was sollte man denn erzählen, wenn nicht die Katastrophen? Ich nehme mir dann vor das Buch bald wieder zurück in das mannshohe und walbreite Regal zu stellen.
© Bettie I. Alfred, 16.Juli 2022