Einmal die eigenen Mutter sein

Manchmal steht man herum wie eine hässliche Vase. Besonders, wenn sich zwei Menschen über etwas unterhalten, wovon man keinerlei Ahnung hat. Man steht dann da und nickt und hofft, dass das Thema wechseln wird. Sich sinnlos fühlen ist unangenehm, doch man muss es aushalten lernen, denn es gehört zum Leben dazu. Es bringt nichts dem Ganzen entkommen zu wollen, in dem man z.B. in einen Ramschladen flüchtet, um, anstatt dumpf zu nicken, dumpf Ware anzuschauen. Schon in den frühen 80er Jahren beschreibt Bernhard Vesper übrigens in seiner „Reise“, wie er durch ein Kaufhaus geht und 99,9 % der Produkte als überflüssig empfindet. Was würde er heute sagen? in all der unendlichen Trostlosigkeit von Gegenständen. Man meint manchmal dieser Überfluss sei ein Problem der Jetztzeit. Doch…alles schon da gewesen. Auch das ganze Thema wer und was will ich wie sein, immer dasselbe und längst „beackert“. Hanns Henny Jahn hat bereits 1926 eine Frau geheiratet und für 33 Jahre lang angeblich eine offene Ehe ohne Tabus geführt (auch das gab es sicher schon ganz zu Anfang der Menschheit). Dafür war der Sarg, den er sich schon zu Lebzeiten hatte zimmern lassen, so schwer ausgefallen, dass man ihn, als der Schriftsteller tot darin lag, andauernd hatte absetzen müssen. Ansonsten war er eindeutig ein sehr modern denkender Mensch, der jedoch durchaus an Grössenwahn gelitten hat. Doch welcher berühmte Schriftsteller hat dies nicht getan? Diesen braucht man ja förmlich um sich ans Licht zu arbeiten. Entdecke ein altes Foto in einem Buch über Göttingen. Es entstand in den 60er Jahren an einem Teich im Botanischen Garten. Im Hintergrund steht irgendwo ein alter Käfer mit Brezelfenster. Alles in Schwarzweiss. Es turnt mich an mich in diese Situation einzubauen. Ich sitze dann am Teich in Göttingen und bin jung und eine kluge gut frisierte Person in einem „Kostümchen“. Ich erschrecke dann, denn das ist nicht Ich, sondern meine Mutter. Einmal die eigene Mutter sein!

© Bettie I. Alfred, 29.8.22


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