Die tote Ordnung

Der Schriftsteller erzählt vom Krieg. Von dem, der vor über 70 Jahren stattgefunden hat. Es ist als sei es gerade geschehen. Wir sitzen an der selben Stelle, an der damals die Bomben fielen. Eine Wiese mit Hipstern und anderen Neumenschen gefüllt, die bunte Bälle in die Luft werfen und Modehündchen auffallend angstfrei geknuddelt werden. Da seien die Toten gelegen sagt er dann und man würde sie wieder finden, wenn man graben täte. Er habe es den Leuten schon gesagt, aber die hätten es nicht hören wollen. Ich biete Restkuchen von Feierlichkeiten an. Seine untere Gebisshälfte ist abhanden gekommen, wir krümeln was das Zeug hält, ich besonders zügellos. Im wunderschönen Park alles so einfach und komfortabel diesbezüglich. Lese am Abend im Kafkabuch (im Kapitel über die jüdische Mystik) den Namen Aaron mit zwei A. (aus Bagdad). In einem nicht veröffentlichten Meisterwerk des Schriftstellers (es liegt in Fetzen in der Wohnung verstreut) geht es ebenfalls um einen Aaron mit zwei A. Immerzu sehe ich Parallelen, die sicher nicht lediglich aus Zufall existieren. Leider mein Wissen, trotz Lektüre, von allem Wesentlichen immerzu zu spärlich und das Gefühl nur durch wilde Unbefangenheit den Kern des Seins erleben zu können, ein Grund zur oder für beständige Unkonzentriertheit. Habe das Gefühl es gibt sowieso kein Unterschied im Ausmaß des Glücksgefühls das ein Thema erzeugt, darauf bezogen, ob man es buchstäblich versteht oder gefühlsmäßig. Und beides kann übrigens gleichzeitig der Fall sein: man kann alles verstehen und nichts fühlen, oder alles fühlen und nichts verstehen. Ich habe immer deutlicher das Gefühl, dass der Schriftsteller eine köstliche Art (köstlich nicht im Sinne von ulkig, sondern wörtlich genommen, eine wohlschmeckende ) erreicht hat, um alles so zu erleben, wie es ihm gut tut. Dass er dabei sein unteres Gebissteil und anders verlegt und überhaupt ein Durcheinander passiert, das andere in Unruhe versetzt, scheint mir immer mehr kein Problem von ihm zu sein, sondern eins von uns, den Aussenstehenden, die eine Ordnung ersehnen, da sie sie so nötig haben, um sich an ihr festzuhalten, wie an einem Geländer. Er, der Schriftsteller, braucht so etwas längst nicht mehr und ich ahne einen Vorsprung, den er mir gegenüber hat, die andauernd Tische abwischt und sich das Gesicht auffrischt, um nicht alt oder gar verlebt auszusehen. Bei ihm alles eine ausgewogenen Einheit, ohne Unterbrechungen durch Banalitäten die sich unbedingt aufdrängen (die Fragestellung: Was zieh ich an? viel zu oft anwesend). Themen völlig ohne Substanz, im Gegensatz zur immer wieder aufflammenden Frage, ob man wieder käme. „Wir kommen solange wieder, bis du allein sein willst!“ Sage ich und alles ist gesagt. Liebe entsteht durch Dasein. Mit allem, was dabei ist oder weg. Das Durcheinander ergibt Sinn, immer und überall. Mehr als die Ordnung der Systeme, die sinnlos ist.

© Bettie I. Alfred, 26.9.2022


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