Im Zimmer, das mal zwei Zimmer war

In der fremden und doch merkwürdig vertrauten Stadt, träume ich von der Schulfreundin, die nur 20 geworden ist, weil sie mit dem Auto verunglückte. Plötzlich vermisse ich sie. Man vermisst oft Vergangenheiten. Besonders die, die mit einfachen Gefühlen wie unausgesprochene Zuneigungen zu tun haben. Einfache Gefühle, die sich dadurch, dass sie längst der abgeschlossenen Jugendzeit angehören, in zierliche geschraubt haben und deshalb weitaus glanzvoller erscheinen, als man es damals beim sich Zuneigen wahrnehmen konnte. Diese ins Zierliche geschraubten Erinnerungsfetzen, machen einen Großteil der Atmosphären aus, hier im Zimmer, das mal zwei Zimmer gewesen ist, was man an der Decke am Restwandstück sehen kann. Ich liebe immer Zimmer, die einmal zwei Zimmer waren, egal wo und weshalb. Ähnlich wie Zwei Gehirne im Austausch durch Gedankenzirkulationen freier werden können, ist in einem Zimmer, das mal zwei Zimmer war, immer viel mehr möglich, als in einem Zimmer, das nur sich selbst sein kann. Die Frage, wie man mit diesem Leben, das immerzu so unvollständig erscheint, fertig werden wird, darf in einem Zimmer, das einmal zwei Zimmer gewesen ist, immer, ohne Erlaubnis herumstehen. Selbst kondensierte Katastrophen dürfen eintreten, denn Platz finden diese in den Nischen, die Durchbrüche hinterlassen. Jegliches Unbehagen wird in einengenden Einzellen stärker. Doch den Säugling sollte man nicht alleine in ein Doppelbett legen… Der sehnt sich nach Beengung.

Bettie I. Alfred, 12. 10. 22


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