Der Krieg ist sowieso verloren

Wühle mich durch einen Berg endloser Notizzettel. Sie liegen in einer Ecke des ansonsten übervollen Schreibtisches und ich habe es noch nicht geschafft sie in den Zettelkasten zu befördern, der dazu dienen soll, daß nichts Wichtiges verloren geht. Auf den Zetteln nämlich wichtige Sätze, aber auch Notizen ohne jeglichen, zumindest im ersten Moment, erkennbaren Nutzen. Telefonnummern ohne Namen z.B.. Oder Zeitbezeichnungen wie Sekunden und Minuten oder Kringel, die nur dazu dienen sollten zu erkennen, ob ein Kugelschreiber noch schreibt. Manchmal stehen hinter Notizen Ausrufezeichen, was natürlich Wichtigkeit bedeuten soll. „Alice Elsner – MEDEA- anhören!“ steht da z.B. auf einem Zettel. Danach mit einem anderen Stift geschrieben das Wort „Stabhochsprung“. Oft stehen, wie gesagt, Namen auf den Zetteln. Auf einem überdeutlich „GEORG KLEIN, Schriftsteller.“ Immer wieder gucke ich die Zettelberge durch. Sie sind viel viel angenehmer anzuschauen, als irgendetwas im Internet. Sie atmen, das olle Papier lebt sozusagen, die Schreibspuren vibrieren noch, und ich sehe an meiner Schrift, die zwischen klein und eitel, und groß und schluderig schwankt, genau in was für einer Stimmung ich beim Notieren gewesen bin. Manches wiederholt sich, wie die folgende Notiz: „KES, Film, unbedingt kopieren“. Manchmal notiere ich auch ganze Sätze und sogar zeilenlange Absätze, die ich hektisch, wegen der immerzu auf der Flucht sich befindenden Konzentration, ganz fix aufschreibe und ab und an vergesse ich dann Worte, und beim Lesen, bei dem ich das fehlende Wort dann erahne, hauen mich diese Sätze dann um, wegen ihrer wunderbaren Bedeutung. Folgender Satz gefällt mir um ein Beispiel zu geben, sehr gut: „Wer ein Defizit bewirtschaftet, hat meine Sympathie.“ Leider ohne den Namen des Menschen, der so etwas Schönes sagte. Ich muss recherchieren, wer es gewesen ist, am Liebsten, indem ich die Bücher nachverfolge, die ich in letzter Zeit gelesen habe, denn aus einem von ihnen muss dieser Satz ja stammen.
Als man den Schriftsteller Jan Christ bittet den Satz: „Der Krieg ist sowieso verloren“ einzusprechen, setzt er danach hinzu….“ja, der mit den Frauen“. Ich schaue nun auf meine Zettel und setze gedanklich nach: „Ja, auch der mit den Zetteln“.
Die Sonne scheint und stört beim Gucken.

© Bettie I. Alfred, 3.11.22



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