Die kargen Rabatten der leicht verschneiten Kleingärten

Berlin kann höllisch sein, heute empfand ich es jedoch beim Gang zum Lottoladen als himmlisch. Das hat mit dem leichten Schnee-Belag zu tun und mit meinen Erinnerungen an die Zeit, in der ich mit 11 Jahren durchs ebenso winterlich angehauchte Berlin stapfte. Der Weg, in dieser Szene, geht immer zum Kiefernorthopäden. Jedes Kind hatte damals im Auge der Kieferorthopädie eine unbedingt behandelbare Zahnfehlstellung, die mit Metallgebilden zurecht gerückt werden musste. Bis heute habe ich immer denselben Alptraum vom „Spangetragen“: Ich drücke mir das Teil ins Maul und weil es nicht passt, zu klein ist, neigen sich die Zähne langsam nach innen und brechen schließlich ab. Trotz allem Unglücksempfinden was diesen Traum betrifft, denke ich viel und oft an die Zeit als 11-jährige. Damals war mir eine Kohlenheizung noch nicht bekannt, alle, die ich kannte, hatten eine Zentralheizung. Nur der Onkel sprach einmal von einer Kohlenheizung und wie fürchterlich die Bedienung einer solchen gewesen war. Der Schmutz, immerzu ein grosses Thema. Gestern dann ein Gespräch mit Bekannten über die Zeit nach der Wende, wo selbst „feine Herrschaften“ einmal mit dem schwarzen Grubengold konfrontiert waren. Als ich im Hörbuch über Kafka und seine Zeit in Berlin dann höre, dass er dort genau vor 99 Jahren (Ende November 1923) in seiner Steglitzer Wohnung schon eine Zentralheizung gehabt hatte, bin ich kurz der Meinung, das ich nun auch einmal eine solche haben sollte. Dann muss ich an eine Zugfahrt denken, wo eine undichte Stelle im Zug dazu führte dass man sich Mäntel über die Beine legte und sich wegen dieser Windigkeit im Beinbereich dann eine für die DB untypische Gemütlichkeit im Zug ausgebreitet hatte. Menschen, die sich niemals angeschaut hätten nickten sich plötzlich freundlich zu, nach dem Motto: Jaja, so ist es doch auszuhalten. Eine Situation, in der einem ausnahmsweise Mal ein Handy nicht weiterhelfen konnte. Und das Lesen mit einem Mantel als Wärmezelt über dem Schoss, über rollenden Rädern auf Schienen, das war dann definitiv ein Genuss, auch, wenn im Grossen und Ganzen gesehen schon wieder ein neues Jahr und somit die Alterung des Körpergestells drohte. Beim Blick in die kargen Rabatten der leicht verschneiten Kleingärten zwischendurch, ist dann alles gut und doch eindeutig hoffnungslos. Diese Mischung… immer wieder ein Faszinosum.


© Bettie I. Alfred, 21.November 2022

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