Aus den Zeiten eines Strumpfhosentieres (2)

Wie gut, dass man jeden Tag durch Schlaf beenden kann. Schlaf ist wie Probesterben und man übt automatisch das Ende. Ständig, täglich ein Ende.
Als Strumpfhosenkind fand man das Insbettgehen schwierig, denn das Bett stand in der Küche. Nicht ganz in der Küche, aber zur Küche hin, in einer Art offenen Situation, wo es keinerlei Heimeligkeit, sondern nur Zugigkeit gab. Das Bett kauften wir bei der Rheinmöve (ein Möbelhaus am Rhein) und seine Weichzonen waren braun- orange-kariert und es gab für tagsüber riesige Polstereien als Nackenstützen und Armlehnen. Es hatte nichts Kindliches an sich, eher etwas Kleinkariert-Technisches.
Meine Freunde aus dem Dörflein kamen dann gerne, denn das Bett war trotz Hässlichkeit, gross und alle fanden Platz darauf. Die lange dünne Tatjana, aber auch der kleine Willi und die noch viel kleinere, weil gerade erst drei Jahre alt gewordenen Vera. Bei mir war immer offenes Haus, der Vater froh, wenn ich ihn in Ruhe korrigieren liess und ich nebenan im Küchenzentrum durch Feten abgelenkt war. Man konnte auch spontan was backen, alles Pulverartige zusammenwerfen und umrühren. Die Küche hatte kein Fenster, sondern lediglich oben in der Ecke, ein paar Glasbausteine, einer davon mit einer Kette dran. Zog man diese, kippte der Baustein weg und es gab einen Luftzug, den man unten aber nicht mitbekam, ausser es stürmte draussen, woran ich mich aber nicht erinnern kann. Einmal vergaß der Vater die Haustürschlüssel und mein dünnster kleinster Freund, ein Pilo, sollte, so die Idee des Vaters, da ins Glasbausteinloch hineinkriechen (daß er tief fallen würde, war ihm, dem Vater, wohl nicht so klar, oder zumindest kein Grund dafür es sein zu lassen). Es hat dann tatsächlich funktioniert. Wie der kleine dünne Pilo unten angekommen ist, weiss ich nicht mehr, bluten tat er jedenfalls nicht und sein Stolz war in jenem Moment, als er dem Vater von innen die Türe hatte öffnen können, so ungemein gross, daß er ab da immer irgendwie ein stolzer Charakter für mich war. Dieser außerordentliche Stolz kam wohl auch daher, weil er ansonsten wenig gehabt hatte, worauf er, aus Sicht der Behörden (gemeint ist der ganze Teil der Menschheit, der gerne Listen macht oder Zeugnisse verteilt) einen hätte haben können. Er sprach undeutlich und zappelte viel herum, so wie ich es gern hatte, zumindest bei ihm. Mir fiel es schon immer leicht, meinen Blick auf die wesentlichen Kleinigkeiten zu richten. Der Mensch als Sammelsurium an Eigenheiten, ein Faszinosum. Nichts passt nirgendwo bei niemandem zusammen. Der feiste Metzgerjunge zu dem ich meist Abstand hielt, oft plötzlich anziehend starrsinnig und dabei freundlich interessiert an meinen Erzählungen über die Nebensächlichkeiten meines Daseins. Dass der Vater aus einem Land käme, so ich erklärend, wo man ganz anders sprechen täte eine davon. (Und ich ahmte nervös, aber klar, meine Großmutter nach): „Mei wos hostn do im Gsiecht?“ Der Junge lachte dann äußerst fröhlich und als er schließlich abbog, weil sich sein Daheim, die mir unbekannte Wohnung hinter der Metzgerei, in der Strasse die sich um unsere Hausrückseite bog, befand, ich also den Weg alleine weiter gehen musste, empfand ich kurz heftige Trauer. Hoffnung machte dann erst wieder das Fernsehgerät, dass ich an und ausschaltete wann ich Lust dazu hatte, denn niemand war da, der es verbot. Meist gab es jedoch nur das komische Bild mit den Zahlen und einer Stimme, die öde Dinge sprach und ich drückte alles wieder aus. Dann baute ich Höhlen wie ein Tier und beschloss zudem ein Experiment, nämlich die Nacht im Schaukelstuhl zu verbringen.
Alleinsein in Wintertagen hatte immer etwas merkwürdig Trostloses, doch die Ruhe verführte mich schneller als ersehnt und ich schlief ein in der Höhle und nicht im Schaukelstuhl wie vorgenommen. Kam der Vater nachhause, trug er mich in mein Küchenbett und alle Illusion vom Höhlentier verschwand dann wieder.


© Bettie I. Alfred, 2. Advent 2022


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