Diophantie

Beim Lesen eines Textes über die 12-Tonmusik von Karl-Heinz Stockhausen (ich lese gerne über etwas, das ich nicht verstehe, es ist dann nicht so wie lesen sonst, sondern so, wie wenn ich eine unebene Tiefseelandschaft anschaue, eben eher überraschend als verständlich), stoße ich in diesem Spezialbuch auf den Begriff der diophantischen Gleichung. Ich schlage nach. Auch, wenn ich weiss, dass ich nun ein Gebiet betrete, das mich nichts angeht: Eine lineare diophantische Gleichung ist eine Gleichung mit zwei Summen von Monomen des nullten oder ersten Grades. Ich beschliesse den Artikel zu überspringen. Man muss nicht alles wissen, schon gar nicht etwas über Diophantie. Es ist ja sowieso ein Trugschluss zu glauben, dass der Mensch, der Bescheid weiss und zu allem eine eindeutige Meinung hat, eine beeindruckendere Person ist, als die die nur guckt, schweigt oder gar komplett unheldenhaft agiert. Das Wort Held und alle Worte, in denen das Wort Held vorkommt, wollte ich eigentlich für immer aus meinem Wortschatz entsorgen. Der Mensch ist kein Held, niemand, kein einziger und wenn doch, dann ist sein Heldentum immer auf einer Müllhalde erbaut. Ich drehte den Schreibtisch gestern so, dass ich beim Schreiben nicht mehr, wie zuvor, aus dem Fenster schaue, sondern an die Wand. Die Sonne scheint mir nun nicht mehr in die verkrampfte Visage, sondern nur noch ans linke Ohr. Die Verbesserung war kurz da, dann schaute ich auf die Postkarte, die ich mir 1986 als Kind in Griechenland gekauft hatte und auf der man lediglich eine weissgestrichene Treppe und eine Umwucherung mit rotblühendem Hibiskus sieht. Sie lag 36 Jahre in einer Kiste, gestern holte ich sie zu all dem Umgebaue heraus und stellte sie auf. Da kamen kurz Tränen. Obwohl farbig, was mir lange gegen den Strich ging, schaute ich sie dann aber doch gerne an. Keinen Mensch ansehen zu müssen, auf diesem Motiv, nur eine Treppe nach oben. Das gefiel mir. Dass sie auch nach unten geht, ist eine Tatsache, die ich erst einmal ignorierte. Es hat alles immer zwei Seiten. Und der Mensch hat dazu immer seine ganz eigene Logik, eine Seelenlogik. Auch diese Treppe hat eine solche. Muss an die Bichselgeschichte Ein Tisch ist ein Tisch denken. Wer sie nicht kennt, sollte sie lesen. Das Katzentier schreit nun als habe es einen Frosch im Hals. Es ist alt und äußerst geräuschempfindlich. Macht eine Maschine in Fressnapfnähe laute Geräusche, fühlt es sich gestört und bittet dann darum, das man das Geräusch umgehend beenden soll, indem es mit diesem Frosch-im-Hals-Jaulen um einen herum tigert. Ich verstehe das Tier gut. Man will zunehmend in Lautlosigkeit schweben. Leisigkeit entspannt.

Bettie I. Alfred, 12.12.22


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